»Dann stolperte ich zufällig über die pharmakologischen Effekte von DMSO«, schilderte der damals 74-jährige Dr. Jacob die Situation rückblickend in einem Interview. Es geschah bei einem Experiment im Jahr 1962. Ein Assistent Dr. Jacobs schüttete aus Versehen etwas DMSO auf seine Hand. Schon nach wenigen Minuten spürte er einen süßlichen Geschmack auf der Zunge, der ihn an Austern erinnerte. Aus den Beschreibungen des Assistenten folgerte Dr. Jacob, dass die Substanz durch die Haut gedrungen und mit dem Blutstrom im ganzen Körper verteilt worden war. Eine höchst ungewöhnliche Eigenschaft und ein faszinierendes Phänomen, dem Jacob umgehend auf den Grund gehen wollte. Tierversuche folgten und schließlich wurde das Material an Menschen getestet. Nahezu zeitgleich machte der Chemiker Dr. Robert Herschler eine ähnliche Erfahrung, die ihn fast das Leben gekostet hätte. In einer Reihe von Versuchen an Pflanzen und Bäumen testete er, wie die Penetration von Antibiotika und Fungiziden durch DMSO gesteigert werden könnte. Dr. Herschler bekam etwas von der hochgiftigen Pflanzenschutzmittel-DMSO-Lösung auf die Haut und litt innerhalb kürzester Zeit unter Bewusstseinstrübung und Atemnot. Das Gift wirkte prompt, weil es von DMSO als Trägerstoff in den Körper des Forschers eingeschleust wurde. Der erste Antrag zum Erhalt eines IND-Status für DMSO wurde 1963 bei der amerikanischen Arzneimittel-Zulassungsbehörde FDA (United States Food and Drug Administration) eingereicht. IND-Status steht für »Investigational New Drug« (deutsch: Prüfpräparate) und sollte die Erlaubnis zum Start klinischer Studien zur Wirkung von DMSO auf den Menschen erreichen. Neben den US-amerikanischen Firmen Syntex und American Home Products beteiligten sich auch westdeutsche Chemiefirmen wie die Schering AG, Heinrich Mack und auch die Contergan-Herstellerfirma Grünenthal am Run auf die Lizenzen für die Vielzweck-Medizin DMSO. In den Medien wurde DMSO schnell als neue Wundermedizin gepriesen und die medizinische Welt bestaunte die Substanz als Sensation. Lahme Rennpferde starteten nach der Behandlung mit DMSO wieder auf der Rennbahn, Patienten wurden unerträgliche Schmerzen los. Zu Dr. Jacobs Leidwesen hatten sich bald mehr als 50 000 Menschen, die von den Wirkungen der Substanz gehört hatten, mit DMSO versorgt. Doch es stammte häufig aus dubiosen Quellen und zumeist handelte es sich um ungereinigtes, für den Industriegebrauch bestimmtes Dimethylsulfoxid.Dieses Wunderheilmittel war mit seiner Vielzahl medizinischer Effekte für viele Patienten eine Art letzter Hoffnung: bei Rheuma und Bursitis (Schleimbeutelentzündung) oder Sklerodermie, Nebenhöhlenentzündungen, Verbrennungen und Verstauchungen. »Die FDA tat sich schwer in der Auseinandersetzung mit DMSO«, erinnerte sich Dr. Jacob. In den Jahren 1963 und 1964, als er mit seinen Studien begann, stand die Arbeit der FDA unter dem neuen FDA-Gesetz vom Oktober 1962, das sich auf Lebensmittel, Arzneimittel und Kosmetika bezog. Damals wurden die sogenannten Kefauver-Harris-Zusätze eingeführt, Ergänzungen zum bestehenden Gesetz, die die Genehmigungsprozesse für Lebensmittel, Arzneimittel und Kosmetika radikal verschärften. Sie führten ein System ein, demzufolge kein Medikament auf den freien Markt gebracht werden durfte, ohne zuvor die Freigabe der FDA erhalten zu haben. Zudem mussten Medikamentenlabels den Hinweis beinhalten, dass sie ein Risiko in der Schwangerschaft darstellten. Rückblickend kam Dr. Jacobs zu der Annahme, dass die Behörden der Meinung waren, dass ein Medikament jeweils nur für eine Indikation verwendet werden konnte. Da DMSO absolut nicht in diese Kategorie passte, wurde es gekippt: »Und dann verbot die FDA 1965 die Studien zu DMSO.« Doch einer der Gründe, weshalb die FDA im Jahre 1965 diese Studien untersagte, war der Befund von Augenlinsenschädigungen bei einigen Tierspezies. Aus drei amerikanischen Pharmazielaboratorien und dem britischen Huntington Research Centre war die alarmierende Nachricht gekommen, dass an den Augen von Hunden, Schweinen und Kaninchen unter Einwirkung von DMSO irreversible Schäden festgestellt worden waren. Die FDA untersagte daraufhin die Fortsetzung aller klinischen Prüfungen des in den Vereinigten Staaten noch nicht zugelassenen Präparats. In Westdeutschland wurde DMSO bereits vertrieben. Doch erst vier Jahre zuvor war hier das zunächst als vermeintliches Wundermittel gefeierte und dann zu traurigem Ruhm gelangte Thalidomid (Contergan) aus dem Verkehr gezogen worden. Die Erfahrungen aus dem Contergan-Skandal scheinen eine Erklärung für die rigide Haltung der FDA gegenüber DMSO zu sein, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt in ihren Unterlagen über 100 000 Patientenakten von rund 1500 Ärzten aus ganz Amerika befanden, die die Ungefährlichkeit und Wirksamkeit von DMSO belegten. Zwar war auch in Westdeutschland nachweislich noch kein Mensch durch DMSO zu Schaden gekommen, dennoch nahm man das Präparat, das am 27. August 1965 vom Bundesgesundheitsamt als vielversprechendes Heilmittel registriert worden war, bereits im November desselben Jahres wieder aus dem Handel. In den folgenden 15 Jahren lockerte die FDA ihre DMSO-Restriktion für vereinzelte Anwendungen. So wurden ab 1966 klinische Tests beim Menschen mit Sklerodermie, Herpes Zoster (Gürtelrose) und schwerem Gelenkrheumatismus genehmigt, wenn sich keine anderen geeigneten Therapiemöglichkeiten fänden. Da darüber hinaus keine weiteren Belege für die Schädigung von Augenlinsen durch DMSO auftauchten, wurde 1968 die Anwendung auf der Haut für einen Zeitraum von bis zu maximal 13 Tagen gestattet. Ab 1970 durften veterinäre Schädigungen des Bewegungsapparates von Pferden und ab 1972 auch von Hunden mit DMSO behandelt werden. Schließlich wurde 1978 das erste und in den USA einzige genehmigte DMSO-Präparat für Menschen zur Vermarktung zugelassen: RIMSO-50® – eine sterile Mischung aus 50 Prozent DMSO und 50 Prozent Wasser, die bis heute als Mittel bei interstitieller Zystitis (siehe Seite 35 f.), einer schmerzhaften Entzündung der Harnblase vor allem bei Frauen, eingesetzt wird. Auch ein prominenter Politiker war auf Dr. Jacobs Mittel aufmerksam geworden. Im Sommer 1980 besuchte George Wallace, der 45. Gouverneur von Alabama, Dr. Jacob im University of Oregon Health Sciences Center. Acht Jahre bereits war Wallace an den Rollstuhl gefesselt – seit der 21-jährige Arthur H. Bremer im Mai 1972 auf ihn geschossen und ihn damit gelähmt hatte. Auch er hoffte auf Linderung durch den Einsatz von DMSO und begann am 1. Juli seine Behandlung mithilfe von Dr. Jacob. Seine Schmerzen wurden zwar nicht als qualvoll, jedoch als permanent andauernd beschrieben und schränkten Wallace in seinen täglichen Aktivitäten sehr ein. Vor allem der Bereich von der untersten Rippe bis zur Taille war bei Wallace betroffen. Auf Anweisung von Dr. Jacob wurde er täglich mit DMSO betupft – der Schmerz war nach einem Monat verschwunden.